Gerald Murphy

Lieber weit weg

Premiere 21. April 2005

Burgtheater im Vestibül

Kritiken:

„Carolin Pienkos macht aus Gerald Murphys Apokalypse einer Familie im intimen Rahmen des Vestibüls eine intensive und schonungslose Reise in die ängstlichen Wutlandschaften einer benachteiligten Gesellschaftsschicht.“ (Die Presse, 23.4.2005)

 

„Im Vestibül des Burgtheaters hat Regisseurin Carolin Pienkos mit Gerald Murphys lieber weit weg ein starkes, aber auch extrem komisches Stück stringent und sicher in Szene gesetzt. Es sind Verlorene, Sprachlose, die sich da in einer Weite suggerierenden Wohnzimmerlandschaft einen familiären Showdown liefern. Mit leichter Hand führt Pienkos ihre famosen Darsteller durch emotionale Höhen und Tiefen; spart nicht mit schrägen Gags. Michael König als rauer Vater Eddie, Denis Petkovic als pedantischer Bren, Patrick O. Beck als fahriges Nesthäkchen und vor allem Raphael von Bargen als abgedrehter Loser agieren mit höchsten Körpereinsatz und liefern grandiose Leistungen ab. Sehr fein.“ (Kurier, 23.4.2005)

 

„Im Burgtheater-Vestibül erlebte die Familienkatastrophe im Kleinstbürgermilieu nun in einer witzig-drastischen Inszenierung von Carolin Pienkos ihre begeistert akklamierte deutschsprachige Erstaufführung. [...]die schwarzhumorige Komödie, deren Milieu und Figuren nicht gerade unbekannt wirken,(...) bietet exzellente Rollen, die das glänzend aufeinander eingespielte Männer-Ensemble in all den Wechselbädern zwischen Hoffnung und Enttäuschung ebenso exzellent umsetzt: Sei es im anfänglichen Bemühen, voreinander großsprecherisch den Schein aufrechtzuerhalten, sei es im tollpatschigen Bemühen, einander irgendwie näher zu kommen und Verständnis fürs eigene Problem zu finden. Man redet zwar stakkatoartig aneinander vorbei, sucht aber – auf typische Männerart – mit spielerischen Boxhieben und derben Berührungen nach Nähe. Fazit: Schauspielertheater, an dem es nichts auszusetzen gibt.“ (Wiener Zeitung, 23.4.2003)

„Im liebevoll ausgestatteten Bühnenbild von Uli Nachbargauer hat Carolin Pienkos eine erstaunliche Regiedebütarbeit voll Seelenstriptease abgelegt (...). Die Schauspieler Michael König, Denis Petkovic´, Patrick O. Beck und Raphael von Bargen bewähren sich in sehr differenzierten Darstellungen.
Bravourös gelingt Gerald Murphy die Darstellung des Dilemmas der Männer in einer materialisierten Welt, in der die Frauen ihr Recht auf Selbständigkeit erkämpfen.“ (Kronen Zeitung, 22.4.2003)

 

 

„Sie wollte eine Geschichte erzählen. Für ihre Inszenierung im Vestibül des Burgtheaters hat die deutsche Regisseurin Carolin Pienkos ein Stück gesucht, das zeigt, was Menschen suchen, was sie vermissen – und warum sie das, was sie vermissen und suchen, nicht finden. Sie wollte keines der „so modernen fragmentarischen Stücke“, keines, das die „Linearität gewaltsam aufreißt“ und ein Mosaik der Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten zeigt: „Ich glaube nicht, dass das wirklich authentischer ist. Unsere Wahrnehmung funktioniert doch gar nicht so. Ich wollte ein Stück, das mir Figuren in die Hand gibt, das eine Geschichte erzählt, weil ich glaube, dass es das ist, was Theater ausmacht: die Möglichkeit, eine andere Erfahrung zu machen. Ich möchte auf dem Theater etwas miterleben dürfen. Ich möchte sinnlich Zusammenhänge begreifen.“

Ihre Wahl ist auf Gerald Murphys „Lieber weit weg“ gefallen: In dem Stück des irischen Dramatikers treffen sich drei Brüder im Haus des ältesten: Ihr Vater hat sie gebeten, mit ihm gemeinsam die Mutter zu besuchen, sie liege im Krankenhaus, und sie wünsche es sich so sehr, die ganze Familie wieder einmal versammelt zu sehen, wenigstens an ihrem Krankenbett. Totenbett – nein, das sagt er nicht, aber jeder denkt es.

Die Brüder haben sich schon lange nicht mehr gesehen. Der älteste hat es zu bescheidenem Wohlstand gebracht, der mittlere hat Frau und Kind, der jüngste einen tollen Job in einer Computerfirma – und das alles klingt zwar nicht umwerfend, aber doch nach einem einigermaßen bürgerlich geglückten Leben. Wenn es denn so wäre. Aber da ist zu viel Einsamkeit und Versagen, da sind zu viele Vorwürfe und Geheimnisse, als dass vier Menschen es ertragen könnten.

Es ist ein Stück darüber, wie Menschen aneinander vorbeireden, über Eltern und das, was sie versäumten, über Kinder und das, was sie ihren Eltern verschweigen, über Geschwister und ihre Rivalitäten. „Ich möchte wissen, wie es dazu gekommen ist. Mir geht es nicht um Schuld oder darum, wer hier das Opfer ist.“

Carolin Pienkos arbeitet für „Lieber weit weg“ mit Raphael von Bargen, Patrick O. Beck, Michael König und Denis Petkovic´ zusammen. „Es sind phantastische Schauspieler, und es ist ein Glück, dass jeder einzelne sehr viel mitbringt an persönlichen Erfahrungen für die Rolle, die er spielt.“ Sie selbst kennt ebenfalls das Ringen um Anerkennung und auch die geschwisterlichen Allianzen, Konkurrenzen, die Rivalität unter Kindern: Carolin Pienkos hat zwei ältere Schwestern. „Ich bin in einer sehr herzlichen, sehr liebevollen Familie groß geworden. Aber ich weiß auch genau, was mir gefehlt hat“.

Nach dem Abitur jedenfalls hat sie die erste Möglichkeit ergriffen, ihren eigenen, einen unabhängigen Weg zu suchen und ist ins 140 Kilometer entfernte Bremen gezogen. Dort studierte Carolin Pienkos Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Kulturwissenschaften und arbeitete mit der „bremer shakespeare company“, einer international bekannten Truppe. Weitere Stationen als Regieassistentin: Das deutsche Schauspielhaus in Hamburg und Oldenburg und schließlich Wien: „In Wien habe ich eine ganz neue Art von Theater erlebt: Meine erste Assistenz war bei der ProduktionMaria Stuart. Ich habe geglaubt ich kenne Schiller. Ich habe über Schiller mein Abitur gemacht, ich habe über Schiller meine Magisterarbeit verfasst, ich bin mit Schiller hier angetreten. Aber das, was Andrea Breth machte, hat mir gezeigt, wie weit doch die graue Theorie oft von der Praxis entfernt ist. Noch eindrucksvoller habe ich das beim Don Carlos erlebt.“.

Neben ihrer Arbeit als Regieassistentin hat sie im Rahmen der „Spieltriebe“ im Kasino mit eigenen Regiearbeiten begonnen.

Besonders erfolgreich: Edward Albees „Zoogeschichte“. „Die Spieltriebe sind ja nur für ein, zwei Abende angesetzt. Mit der „Zoogeschichte“ haben wir es geschafft, ins Repertoire zu kommen. Es ist einfach ein gutes Stück, bei dem ich mich ganz auf die Schauspieler - Daniel Jesch und Cornelius Obonya - konzentrieren konnte. Das interessiert mich. Licht, Musik und Video dagegen – das darf nur Mittel zum Zweck sein.“

In der „Zoogeschichte“ ging es wie in „Lieber weit weg“ um ein starres Lebensgefüge, das schwankend geworden ist. „Man kann sagen, es stecken die gleichen Fragen dahinter: Wie sind die Menschen so geworden, wie sie sind? Was sind ihre ungelebten Leben? Was sind ihre unerfüllten Sehnsüchte?“

Und natürlich auch: Wo sind ihre verpassten Chancen? Gibt es einen Ausweg?

Carolin Pienkos ist sich sicher: Es gibt solch einen Ausweg. Immer.

„Kev etwa stößt das Familiengesetz um – und darum geht es. Zu viele Menschen glauben, es ist eben so, wie es ist. Sie kokettieren noch mit ihren eigenen Fehlern, mit ihrem schicksalhaft empfundenen Dasein. Aber man kann immer etwas ändern. Oder wie Kev sagt: dass es nie so bleiben muss, wie es ist. Er ist davon überzeugt, dass man sich und die Welt ändern kann. - Doch was man sieht, sind Menschen, die stattdessen mit beiden Beinen in der Hand vorm Leben davon laufen.“ (Die Presse, 19.4.2003)

 

 

"lieber weit weg" ("take me away") wurde im Februar 2004 am Project Theatre Dublin von der Rough Magic Theatre Company uraufgeführt. Die Inszenierung war im Mai 2004 auf dem Heidelberger Stückemarkt zu sehen und wurde im August auf dem Edinburgh Festival gezeigt, wo sie mit dem Fringe First Award ausgezeichnet wurde.